Untersuchung zur pädagogischen Qualität der klassischen Kindertagespflege und der Großtagespflege in Baden-Württemberg

im Auftrag der Baden-Württemberg Stiftung

Qualität in der KindertagespflegeIn Folge des Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz für Kinder ab dem ersten Geburtstag erfolgte ein massiver Ausbau der Kindertagesbetreuung. Als gleichberechtigtes Bildungs- und Betreuungsangebot betrifft dies auch die Kindertagespflege: Allein in Baden-Württemberg verdoppelte sich innerhalb der letzten fünf Jahre die Anzahl der in der Kindertagespflege betreuten Kinder. Neben dem quantitativen Ausbau der Kindertagesbetreuung gilt es auch die Entwicklung der pädagogischen Qualität in den verschiedenen Betreuungsformen in den Blick zu nehmen. Im Auftrag der Baden-Württemberg Stiftung und im Rahmen des Programms "Innovative pädagogische Angebote der außerfamiliären Bildung, Betreuung und Erziehung von Kindern unter 3 Jahren" führte die Forschungsgruppe Verhaltensbiologie des Menschen (FVM) von 2015 bis 2017 eine Untersuchung zur pädagogischen Qualität der klassischen Kindertagespflege und der Großtagespflege in Baden-Württemberg durch. Durch systematische Beobachtung des Alltagsgeschehens mit der Kindertagespflege-Skala (TAS-R) und neu entwickelten Zusatzitems sowie Befragung der Tagespflegepersonen wurden Daten erhoben, die den Ist-Zustand pädagogischer Qualität in der Kindertagespflege abbilden und so einen Vergleich der beiden Angebotsformen möglich macht.

Die wichtigsten Ergebnisse

Die pädagogische Qualität der Kindertagespflege wurde im Vergleich von 30 klassischen (häuslichen) Tagespflegestellen mit 31 Großtagespflegestellen (Betreuung von mehr als 5 Kindern gleichzeitig durch zwei oder mehr Tagespflegepersonen außerhalb des Privathaushaltes) in 27 baden-württembergischen Städten, Stadt- und Landkreisen untersucht.
Die strukturellen Rahmenbedingungen sind für beide Betreuungsformen hinsichtlich Personalschlüssel, Grundqualifizierung und Öffnungszeiten ähnlich. Während die Großtagespflege durch gute Vertretungsstrukturen und zusätzliche Vorbereitung auf die Kindertagespflege hervorsticht, zeigt die klassische Tagespflege Vorteile in der flexiblen Betreuung in den nachmittäglichen Randzeiten und im Raumangebot pro Kind drinnen und draußen.

Der mit der TAS-R erfasste Gesamtwert pädagogischer Prozessqualität in den untersuchten baden-württembergischen Kindertagespflegestellen liegt mit 4,26 leicht über den Werten, die in älteren Untersuchungen gemessen wurden. Die über neu entwickelte Zusatzitems gemessene Qualität, deren Hauptaugenmerk auf Qualitätsaspekten einer guten Entwicklungs- und Bildungsbegleitung lag, befindet sich in einem guten Wertebereich.
Der Vergleich der Prozessqualität in Großtagespflege und klassischer Kindertagespflege offenbart deutliche Vorteile der Großtagespflege (4,68) gegenüber der klassischen Kindertagespflege (3,83).
Stärken zeigen beide Formen der Tagespflege bezüglich Merkmalen, die mehr mit Haltung und professionellem Verständnis von Beziehungsgestaltung und weniger mit speziellen strukturellen Ausgangsbedingungen zu tun hatten. Die Großtagespflege zeigt dort alleinstehende Stärken, wo ihr die Ausgangssituation der Betreuung im Team und eigens für die Kinder gestaltbarer Räume außerhalb des eigenen Privathaushalts zugutekommt. Die Großtagespflege ist als Ort für Kinder deutlicher sicht- und spürbar. Demgegenüber ist im Betreuungsalltag die familiäre Atmosphäre in der klassischen Kindertagespflegestelle eindeutig erkennbarer.

Gemeinsamen Nachholbedarf zeigen beide Formen der Kindertagespflege hinsichtlich der Qualität von Mahlzeitengestaltung, Wickeln und Toilette (Begleitung der Ausscheidungsautonomie), Förderung von Toleranz und Akzeptanz von Verschiedenartigkeit sowie Beobachtung und Dokumentation.
Die klassische Tagespflege zeigt aufgrund strukturell schwierigerer Rahmenbedingungen eines Privathaushaltes in Merkmalen wie Mobiliar für Pflege, Spiel und Lernen, kindbezogene Ausgestaltung, Rückzugsmöglichkeiten und Balance zwischen Betreuung und anderen Aufgaben nur unzureichende Qualität. Fehlende bezahlte Vor- und Nachbereitungszeit erschwert die Zusammenarbeit mit Familien, z.B. hinsichtlich zusätzlicher Leistungen wie Elternabend oder Beobachtung und Dokumentation kindlicher Bildungs- und Entwicklungsprozesse.

Empfehlungen zur weiteren Qualifizierung in der Kindertagespflege wurden benannt. Die für die Studie neu entwickelten Zusatzitems tragen zur spezifischen Qualitätsweiterentwicklung in den einzelnen Kindertagespflegestellen bei, um genauer als mit bisherigen Messinstrumenten tatsächlichen konkreten Veränderungsbedarf anzuzeigen.

Bensel, J., Martinet, F., Haug-Schnabel, G., Aselmeier, M. (2017) Untersuchung zur pädagogischen Qualität der Kindertagespflege in Baden-Württemberg. Studie im Auftrag der Baden-Württemberg Stiftung, Stuttgart.

Projektbericht:
https://www.stiftung-kinderland.de/fileadmin/bw-stiftung/Publikationen/Gesellschaft_und_Kultur/G_K_Qualitaet_Kindertagespflege_U3.pdf